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Feb
13

«Wenn die Flut kommt»

by Greg Lemmenmeier, posted on 13. February 2000 at 12:00, 8812 Views




Eine Glosse über Tiefsurfer und Hochstapler. Erschienen im Jahr 2000 in der Zeitung "Webanzeiger" in Druckauflage 160'000 und hier lediglich als Archiv und Suchmaschinen-Futter publiziert.


"Atmen Sie ruhig, keine Panik. Wir ersaufen alle im Daten-Ozean, Männer und Webfreaks zuerst. Bitte surfen sie zur nächsten Ecke, holen tief Luft und klicken ein paarmal hart. Dann werden Sie gleich weitergeleitet."


Willkommen im Internet, jetzt erhältlich in der Version 2000, und als Erbe des letzten Jahrtausends erfolgreich hinübergerettet: Orientierungslose Vielsurfer werden heutzutage nicht mehr von hübschen Baywatch-Girls gerettet, sondern von der Bannerwerbung, und von allen Seiten umwoben.


Unsere Erwartungen an das Internet sind ja gewaltig. Was jedoch das Internet von uns, den Benutzern, erwartet, raubt uns fast den Atem und den wohlverdienten Feierabend. Hier noch schnell geklickt, da noch ein paar Takte gechatet, ein paar MP3-Files "gedownt" und schon ist die Benutzerseele wieder glücklich, etwas "aktiv" getan zu haben. Aktiv wollen wir ja alle sein, weg von der passiven Einheitsaufnahme und hin zur aktiven Informationssuche, zum aktiven Waschmittel und zum Active-X, und neuerdings sogar dem aktiven Alter, das durchs Internet wieder jung wird: Auch die Senioren, durch gezielte Werbung ins späte Internet-Fieber versetzt, tanzen neuerdings im Dreivierteltakt um das goldene Kalb.


Und bald gibt es nichts mehr, was nicht durch ein paar schnelle Klickereien sichtbar, erlebbar oder bestellbar gemacht werden könnte. Shopping ist angesagt. Aber alle reden vom Internetshopping, das nicht so recht klappen will. Der Shop, der 365 Tage offen hat, rund um die Uhr, wäre doch ein Traum: Mal einen Monat nur im Bett zu bleiben, samt Laptop, Champagner vom Feinkostladen, die frische Bettwäsche vom Home-Service, alles virtuell geliefert. Und mit dem neuesten Handy ge"WAP"pnet, lässt man sich das Badewasser via Satellit einlaufen.

Das grosse Erwachen


Nachdem wir das Millenium also mit helvetischem Anstand hinter uns gebracht haben, sehen wir uns erstaunt in der Landschaft um. Wo ist jetzt die langerwartete Zukunft? Wohlstand für alle? Feriencamps auf dem Mars? Internetzugang für alle fingernägelkauenden Bundesbeamten? Der vernetzte Kühlschrank mit Sensoren für schimmelgefährdete Joghurts ist genauso eine Illusion geblieben wie der Browser, der mir meine Emails vorliest und den echten Briefkasten gleich mit leert. Stattdessen gibt es nur Schreckensmeldungen über sich selbständig machende Kreditkartennummern, Diskussionen über Shareholder-Value bei Internetfirmen und neue Telefontarife, die eigentlich so neu gar nicht sind, weil bereits von anderen vorgelegt.


Soweit die liebe IT-Industrie sich an diesem Milleniumsbug nicht totgestossen hat,
und das ist schwer anzunehmen, floriert das Geschäft jetzt erst recht. Denn jetzt werden die Anschaffungen gemacht, die bisher vertagt worden sind, jetzt ist alles geprüft und für gut befunden. Wir warten lieber ab. In den letzten Monaten haben sich zu viele Propheten getäuscht.


Jeder Manager, der etwas auf sich hält, will mit seiner Firma ins Netz, die Aktienkurse der "dot.com" Internetfirmen schiessen in den Himmel, und die ganze Schweiz surft kollektiv dem Morgenrot entgegen. Dass das Internet eigentlich mehr Lebensqualität für den Durchschnittskonsumenten bieten soll, glauben nur noch die Webagenturen. Aus dem einstigen Science-Net ist ein Commerce-Net entstanden, das unsere kühnsten Erwartungen zwar übertrifft, aber eigentlich nicht erfüllt. Es hat sich nichts geändert, und gerade deshalb wird die Frage täglich grösser: Wo bleibt die Zukunft?


Jeder spielt mit Dingen, die er vor einem Jahr nicht brauchte weil es sie noch nicht gab, und fummelt nervös am neugekauften "Cool Tool" herum. Die Cyber-Gadgets ersetzen wirkungsvoll die früheren Kultobjekte und gehören bereits zum heutigen Sozialprestige. Wer keine Email oder Homepage hat, ist eigentlich schon ein Hanswurst in der modernen Welt, und endgültig irgendwo in den historischen Tiefen des Vor-Milleniums steckengeblieben.


Von allen Seiten werden wir mit den neuesten Prognosen von Forrester Research, Gartner Group und WEMF erschlagen. Zahlen gefällig? Täglich gehen 7 Millionen ofenfrischer Webseiten ins Netz, und bis 2005 soll bereits 37 Prozents des Handels über das Internet abgewickelt werden. Es gibt momentan über 2,2 Millionen Websites, das sind komplette Homepages mit Unterseiten, und alles nur für Sie. Dem gegenüber steht die Anzahl der Computermäuse, die Sie gleichzeitig bedienen können. Aber mit der freigebliebenen Hand kann sich ja immer noch am Kopf kratzen, wer wieder einmal in den Strudel einer Suchmaschine geraten ist.

Von der Suchmaschine zur Fluchmaschine



Das Internet ist so etwas wie die grösste Bibliothek der Welt, aber dummerweise liegen alle Bücher am Boden. Soll hier noch einer seinen Weg zum gewünschten Produkt in den Gefilden des E-Commerce finden, man findet ja bald seine eigene Homepage nicht mehr. Das Internet ist weder katalogisiert noch zentral organisiert, und niemand hat einen vollständigen Überblick, wo welche Information verfügbar ist und wie sie gefunden werden kann. Nur etwa 15 Prozent der inzwischen über 2 Milliarden erreichbaren Web-Seiten sind überhaupt in den Suchmaschinen erfasst.


Dagegen wirkt selbst ein Telefonbuch einer Schweizer Kleinstadt mit durchschnittlich 30'000 Einträgen wie ein simpler Taschenkalender. Um nun eine bestimmte Thematik oder ein Produkt zu finden, müssten wir, aufs Web übertragen, sämtliche Teilnehmer aus dem Telefonbuch anrufen (und natürlich würden wir dabei über einen der neuen Schweizer Telefonanbieter gehen). Dort bekämen wir zu hören, dass man gerade beim Einrichten oder Umziehen sei, jetzt Müller statt Stirnimann heisse, und technisch gesehen gar keinen Anschluss hat. Dann ruft man arglos die auf dem Bildschirm angezeigte Nummer 404 an (document not found), aber auch da meldet sich keiner und man verlässt den unwirtlichen Cyberspace schliesslich per Knopfdruck. Beim Telefon gäbe es wenigstens das Fräulein von der Auskunft, beim Internet nur die Suchmaschinen, und auch von diesen gibt es inzwischen über 2700. Suchen Sie die mal.


Beim nächsten Versuch will man endlich die neueste Clapton-CD im Netz der Netze kaufen, klickt jedoch versehentlich auf das nächstbeste Banner (dem man das nicht ansieht, denn es hat sich perfiderweise als Scrollfenster getarnt), macht an der nächsten Ecke noch kurz beim Wettbewerb mit und schwupps, hat man sich einen Satz gebrauchter Autoteppiche bei einer Online-Auktion ersteigert, zwar schön aber gänzlich unnütz. Und eigentlich wollte man ganz "gezielt" surfen. Das sind dann Shoppingerlebnisse der dritten Art.


Die Topologie des Cyberspace ist zwar bis in die letzte Pore des Erdenballs verkabelt, vernetzt und mit allerlei Hinweissschildern versehen, aber ein Verkehrsnetz funktioniert ja auch nicht, wenn ständig einer die Strassenschilder ändert. Zuviele Baustellen, zuviele tote Links und zuviele Links auf externe Homepages erfüllen die geweckten Hoffnungen bei weitem nicht. Was überhaupt noch zu einer Website gehört und was nicht, erschliesst sich dem geneigten Besucher nur noch nach versuchsweisem Anklicken: Der "Back" Button des Browsers ist zum meistbenutzen Navigationsinstrument geworden.


Die Tätigkeit des "Suchens" verkommt zunehmend zu einer des "Sammelns", die Bookmarks türmen sich wie seinerzeit der Turm zu Babel und repräsentieren zwar viele Websites, die man aber nie besucht weil bereits neue da sind, und die alten gibt es vielleicht schon nicht mehr. Es braucht neue Steuerinstrumente für die Untiefen des Datenozeans. Der Netscape Navigator, einst ein zuverlässiger Freund in den Webfluten, lässt einen heutzutage immer öfter in den Treibsand laufen, und auch AltaVista hat den versprochenen Blick von oben verloren und liefert nur noch verschämte Zufallstreffer.


Kein Wunder also, dass man das Web vor lauter Adressen nicht mehr sieht, denn ab einer gewissen Grösse ist jede Transparenz dahin. Der Internet-Benutzer des neuen Jahrtausends braucht wieder zuverlässige Lotsen, selbsterklärende Angebote und intelligente Suchsysteme im Dienste des Benutzers. Stattdessen gibt es immer neue Anbieter, die irgendwo auf dieser Welt aus dem Ei schlüpfen.

E-Yuppies: Smarte junge Männer machen Tellerwäscherkarriere.


Die Maschen des Netzes werden immer feiner verwoben, weisen hier und da ein paar Löcher auf, fangen weiterhin die kleinen Fische, aber immer mehr schlüpfen gelangweilt durch. Die grossen Anbieter hingegen werden fett und staunen in letzter Zeit, dass sich immer mehr Aktionäre fragen, wo das Geld eigentlich verdient wird. Denn wer möchte, kann im Web sogar Geld verdienen. Und in den Elfenbeintürmen der Start-Ups und "dot.com" Firmen strecken die grünschnäbligen Internet-Strategen, die oftmals nur Teenager mit abgebrochenem Studium sind, ihre Köpfe zusammen und kopieren die Methoden der Konkurrenz.


Plötzlich werden ganz neue, seltsame Formen des Verkaufens sichtbar. Geben statt nehmen. Free Downloads und firmengesteuerte Online-Communities statt Kundendienst. Auktionieren und Datensammlerei. Und werben was das Zeug hält, man nennt das Aufbau der Kundenbindung.


Firmen wie Amazon oder Ebay machen keine Gewinne, sondern Umsatz. Und bauen gleichzeitig die Kundenbasis auf, mit Abonnenten und registrierten E-mail Besitzern, überhaupt der wichtigste Rohstoff der Web-Maschinerie. Nun ist das Spiel einfach geworden, und wird von jedem Internet Start-Up kopiert: Mit steigendem Umsatz geht die Firma an die Börse, wird dort in schwindelerregende Höhen gehypert, und mit der attraktiven Kundenbasis werden potenzielle Käuferfirmen angezogen. Schliesslich wird die Firma gewinnbringend verhökert, aus zwei mach eins, und dann weiter an den nächsten. Der reinste Wirtschaftskannibalismus. Tausende von überbewerteten Verlustfirmen, die nur vom seligen Glauben der Aktionäre leben und darauf warten, sich gegenseitig aufzufressen.


Jede Geschäftsidee wird sofort kopiert, internationalisert, auf mannigfaltigen Websites gespiegelt, und die Farben oder Namen jeweils leicht abgeändert. Heute noch schnell die Corporate Identity erstellt, noch am selben Tag findet man dasselbe Angebot auch in der Nebenabteilung im richtigen Outfit. Ob Sie sich noch beim selben Anbieter befinden oder bereits beim entsprechenden Joint-Venture, das letzte Nacht beim Italiener um die Ecke gegründet wurde, wer weiss das schon und wen kümmert's. Auch Ihrer Kreditkarte ist das eigentlich wurscht.


Es gibt immer mehr Shops, immer mehr Angebote werden erweitert - das ist doch toll. Genausogut könnte man behaupten, die URL's würden endlich länger. Und jeder Online-Anbieter behauptet von sich, "jawohl, das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite". Ob deren (Web-)Seite wirklich hält was sie verspricht, ist ein ganz anderes Thema. Und wieso sollten wir uns das alles antun? Ganz einfach: Es gibt uns das Gefühl, unabhängig zu sein.


Damit kommen wir zum berühmten One-to-One Marketing: Eins zu eins soll dem Kunden begegnet werden, aber man begegnet ihm neuerdings tausend zu eins. Das Internet wird zur grössten Kopiermaschine für Verkaufsideen, und zum Perpetuum Mobile einer digitalen Wirtschaft: Selbsterhaltend und sich gegenseitig unterstützend, setzt sich langsam der professionelle Einheitsbrei durch.


Aber die Aktionäre werden langsam unruhig auf ihren heissen Portfolios, die den Staub der Vergänglichkeit ansetzen, und wollen endlich Gewinne sehen. Die Crashpropheten der Börse, noch vor Jahren begeisterte Lakaien der explosiven Start-Ups, Spin-Offs und E-Tailers, warnen zunehmend und raten zur Zurückhaltung. Weil die Notierungen vieler Unternehmen völlig absurd in die Stratosphäre gestiegen sind, dürfte das Pendel bald und wuchtig zurückschwingen. Erst soll man die Versprechen einlösen, und schwarze Zahlen statt masslose Expansion vorweisen. Aber die Internet-Firmen haben natürlich eine gute Erklärung für das ganze Vorgehen parat: Einerseits werde das Geschäft teurer, andererseits würden die Margen sinken, aus diesem Grund brauche es mehr Volumen. Um die Ertragslage werde man sich schon irgendwann kümmern. Derweil wundert sich die Kundschaft, mit man mit solchen Dumpingpreisen Geld verdienen kann, aber dies geschieht eben über den Aktienkurs und via Fusionitis, und von solchen Dingen hat man als Durschnittsbenutzer keine Ahnung.


Am meisten Geld aber, so weiss es ein bekannter Unternehmensberater, verdient man immer noch damit, den Leuten zu erklären wie sie im Internet Geld verdienen können.

Spieglein, Spieglein...


Es ist alles eine Frage der Perspektive. Wer eine Homepage hat, der hat irgendwie das Gefühl, seine sei die einzige. Und dass alle anderen (in der Schweiz aktuell über 108'000 Domain-Betreiber) genauso denken, kommt ihm gar nicht erst in den Kopf. Verträumt wird darüber nachgedacht, wie die zahlungskräftigen Besucher schon am Eingang Schlange stehen. Und die eigene Homepage wird am meisten angeklickt, statt dass man einmal schaut was die Konkurrenz in der Zwischenzeit so alles getrieben hat. Die ist nämlich schon weiter.


Denn es gibt auch echte Vorteile, die man nur nutzen muss. Das Internet macht es zum Beispiel möglich, dass Einkäufe innert Minuten abgewickelt werden, ohne überflüssige Autofahrten, Parkplatzsorgen und die berühmte vergessene Brieftasche. Einfach ankreuzen, absenden, und es wird garantiert, dass das Buch in zwei Tagen geliefert wird. Das liebt der Mensch, da ist die Technik sinnvoll und überzeugt endlich auch die Frauen vom bisher fragwürdigen Zweck des heimischen PC's, einst das Lieblingsspielzeug der Männerwelt.


Und auf Anbieterseite ist das Konzept noch ein Stück genialer: In Minutenschnelle ist das neue Angebot aufgeschaltet, die Preise an die aktuellen Wechselkurse angepasst, und der neue "Top Seller" Artikel gemäss der Besucherauswertung automatisch als "Teaser" auf die Frontseite verschoben. Viele Kosten des traditionellen Detailhandels, vom Katalogdruck bis zum Verkaufspersonal und den Einkaufstaschen, fallen hier weg. Der Kundendienst muss nicht mehr dieselben Fragen nach den Öffnungszeiten beantworten, sondern kann sich darauf beschränken, die Web-Adresse verständlich ins Telefon zu buchstabieren.


Für den allmonatlichen Wettbewerb und das Rundschreiben an die Kundschaft wird nicht mehr die Werbeagentur in Beschlag genommen, sondern der hausinterne Webdesigner, der dieses ohne Druckkosten und Verteilaktionen in der Mittagspause erledigt. Dabei kauft er online noch ein paar tausend Email-Adressen für die gewünschten Regionen und Zielgruppen ein, lässt das Mailprogramm rattern und kann danach noch eine Weltumrundung lang surfen, derweil der Chef noch beim Kaffee sitzt. Die ganze Aktion geschieht lautlos und virtuell, und man hat sich den Drucker, "Die Post" und viel Zeit gespart.

Nach uns die Sintflut: Vom Y2K ins B2B.


Der Business-to-Business Bereich beruht auf der Annahme, dass die Profiteure nicht nur von den Kunden, sondern auch voneinander profitieren können. Die äusseren Begrenzungen grösserer Homepages werden verwischt, und die Grenzen zwischen "Home" oder bereits "Elsewhere" sind kaum mehr erkennbar. Vielmehr sind die neuen Monstergebilde nach allen (Web)Seiten offen, und natürlich nur zu denjenigen Seiten, die Geld bringen durch so genannte reziproke Links. Eine Partnerschaft mit einem Web-Konkurrenten bildet hier eine gewinnbringende Grundlage für den gemeinsamen Kundenfang. Klick du meins, so klick ich deins, eine Hand wäscht die andere, und wir sind auf dem Web ja nur einen Mausklick voneinander entfernt. Bis dann Siemens, ehemals auch für Waschmaschinen zuständig, die Banners mit ihrem Programm "WebWasher" ruckzuck vom geneigten Auge entfernte, auf dass sie in die ewigen Webgründe verschwänden. Solches gefällt der Industrie natürlich gar nicht, und die Website-Betreiber fragten sich, wozu sie eigentlich so viel Geld für Bannerwerbung ausgegeben hatten.


Mediengiganten und Venture Capitalists vom Silicon Valley bis ins Zürcher Oberland investieren ihre Millionen in eine smarte digitale Zukunft, die nur dann ins Laufen kommt, wenn alle anderen auch mitmachen. Gegenseitig werden die Websites der "dot.com" Firmen verlinkt, verbannert und schliesslich verfusioniert, bis das Netz in seinen Grundfesten wackelt und den vertrauensseligen Benutzern um Augen und Ohren fliegt. Eine Kettenreaktion auf Kosten der Übersichtlichkeit. Wer sich heute auf einer einheimischen Homepage eine CD bestellt, kriegt die Bestätigung von einem deutschen Server, die CD aus England, und die darauffolgende "post-purchase" Werbung vielleicht aus Japan, aber alles mit demselben Etikett.


Der Gipfel der Zusammenrottung nennt sich dann "Portal": Was hier so religiös tönt, ist eine universelle Eingangspforte ins virtuelle Wunderland: Egal ob Wetter, News, Sport, Aktienkurse oder Suchmaschine, alles ist zusammengepfercht auf einer einzigen Startseite. Beim Eingang kann man gleich noch seinen Provider wechseln oder die neueste Software herunterladen. Dass es hinter dem nächsten Link noch eine ganze Kette von "Mini-Malls" (Shops) gibt, bringt dann den gewünschten Umsatz. Ein richtiges kleines Dorf im Global Village, und alle grösseren Websites der Schweiz setzen auf diese Zukunftsstrategie und gehen in die Breite statt in die Tiefe. Das Entscheidende aber ist doch: das Internet ist in erster Linie ein globales Informationssystem und kein Flohmarkt.


Die andere Strategie setzt auf Aktualität. In letzter Zeit entstand der Begriff "Web-Events", das wären also zeitlich festgelegte Anlässe vom Promi-Chat bis zur Auktion. Nun hat die Idee eines Webkalenders in der deutschen Plattform www.texxas.de einen ersten Boden gefunden, und jetzt muss man endlich nicht mehr "spontan" surfen, sondern kann dieses sogar planen. Ein guter Grund, sich vorzeitig aus dem Büro abzumelden mit dem Hinweis, es laufe zuhause etwas im Internet.


Und das Konzept der "RealNames" beruht in etwa darauf, dass man seine Markennamen separat und gegen Bezahlung eintragen lassen kann, damit dann beim Eingeben des eigenen Suchbegriffs nicht die endlose Rolle der Möchtegern-Konkurrenz abgespult wird. Auch dies nur ein hilfloser Versuch im grossen und nicht zusammenpassenden Puzzle namens Internet.

everybody goes surfing


Nun sind wir Schweizer ja immer gerne bereit, internationale Entwicklungen, wenn auch immer mit einer gewissen Verzögerung, anzunehmen und mit unserer berühmten Innovationskraft und dem gründlichen Blick fürs Detail zu adaptieren: Der Schweizer erwacht früh, aber steht spät auf, und die Zeichen der Zeit stehen deutlich auf Wachstum. Eine Untersuchung von IBM beziffert den Rückstand der Schweiz hinter den USA auf rund 14 Monate und gab auch Deutschland, Grossbritannien und Skandinavien einen Vorsprung gegenüber der Schweiz. Die Schweiz ist also wieder mal dabei, einen wesentlichen Innovationsschub zu verpassen, aber tut was sie kann: Heute ist der Prozent-Anteil der Internet-Nutzer in der Schweiz immerhin 2,3 mal höher als noch vor zwei Jahren.


Betrachtet man die vier hauptsächlichen Nutzungsmotive, so ist der Zugriff auf Artikel aus der Presse das meistverbreitete. Dabei stellt man fest, dass das Internet heute fast die Hälfte der Erwerbstätigen und gut vier von zehn Gutverdienenden erreicht. Der typische Internet-Benutzer ist bereits beruflich mit dem Computer vertraut. Vielleicht gerade deshalb stellt das technisch begründete Misstrauen die Anbieter vor neue Herausforderungen. Es surfen 1,8 Millionen SchweizerInnen im Internet, und doch ist bei der letzten Auswertung eine deutliche Verlangsamung des Wachstums festzustellen.


Der "noise level", das heisst das Grundrauschen des Webs, ist deutlich gestiegen, und wer sich als Anbieter noch über das Mittelmass erheben will, muss tüchtig aufstocken. Sowohl in der Werbung (begleitet von massiver Offline-, sprich Printwerbung) wie auch im Verständnis dessen, was die Benutzer eigentlich vom Internet erwarten.


Es ist ja auch nicht so, dass das Internet jetzt alles vom TV bis zum Radio und den Printmedien ersetzt und verwoben hat, sondern dass alles gleichzeitig, nebeneinander und übereinander, seinen Teil von der Aufmerksamkeit des einzelnen Menschen abverlangt. Der Witz bei der Sache ist, dass die menschliche Aufmerksamkeit eine relativ feste Grösse ist. Sie können nicht mehr aufnehmen als Sie bereits tun, und gemäss Studien in den USA sinkt der "Attention-Span" ständig. Dementsprechend müssten die Angebote greifbarer, klarer und übersichtlicher werden, denn der schwächste Teil eines Computersystems ist immer der User und der ist menschlich.


Es wäre also eine Aufgabe derjenigen Leute, welche die "Mensch-Maschine" Schnittstellen entwerfen, darauf zu achten, daß Fehler nicht gemacht werden können. Dass aber Suchmaschinen ihren Dienst nur noch mürrisch verrichten und die Monster-Websites mit all ihren Banners zusätzliche Konfusion erzeugen, liegt eben nicht an den Benutzern, sondern an den rasenden Expansionsgelüsten von allem, was auf dem Web einen Nährboden findet. So entsteht bei vielen Benutzern die berühmte Bannerallergie, und so mancher User stellt fest, dass die beim Surfen hinterlassenen Spuren flugs in Werbe-Mails und unerwünschten Angeboten resultieren, welche man weniger leicht los wird als einen Sack voller Flöhe.

Wo gehts hier zum Internet?


Inmitten des E-Commerce-Tumults fragt man sich, wohin sich das Web als Nächstes entwickeln wird. Es soll künftig Daten und Hinweise enthalten, die von Computer-Programmen gelesen werden können. Suchmaschinen für Suchmaschinen sozusagen, und auf die Gewohnheiten des Benutzers zugeschnitten. So muss man nicht mehr alles selbst suchen, sondern kann seine persönlichen "Web Agents" surfen lassen. Die werden dann nicht mehr so eine schrecklich lange Liste liefern wie die Suchmaschinen heute, aber je nach Hersteller noch mehr Werbung.


Keine Sorge. Das Web wird noch lange existieren, in vielen verschienden Formen und Geräten, aber wir werden nicht mehr viel darüber sprechen – ähnlich, wie wir jetzt nicht allzu viel über Elektrizität
reden. Man merkt es nur noch, wenn die Rechnung kommt. Wir werden uns nicht mehr über die neue Technik wundern, sondern bloss noch über die Inhalte. Und wir werden gelernt haben, uns in der Auswahl aus dem Web zu beschränken. Heute verwechseln die Leute noch Informationsmenge und -qualität. Das Web bietet Zugang zu allem und jedem. Aber wer nicht die genaue Adresse weiss, verliert sich sofort, und somit auch Zeit, Nerven und nicht zuletzt die Kauflust.


Gleichzeitig sind wir halt nicht alle Wunderkinder oder haben den biomechanischen Cyberchip eingebaut. Berichte von den chronisch überlasteten Hotlines vermelden zum Beispiel, dass jemand anruft mit der Frage, wo sich denn der "any" Button befände, wo doch auf der Website ganz klar geschrieben steht: "click any button to continue". Oder man fragt nach, wie man wohl den Browser dazu bewegen könne, sich mit dem Anrufbeantworter zu verbinden, denn ersterer besetze ständig die Telefonleitung. Computerbenutzer verlieren zunehmend die Nerven im Umgang mit den Rechnern, lautet das Ergebnis einer Umfrage in Großbritannien. Immerhin 67 Prozent der Anwender gaben an, bei der Arbeit am Rechner frustriert zu sein. Einerseits wollen die Kunden das System nach ihren Bedürfnissen anpassen, andererseits will sich niemand mit dem System befassen.


Wir verstehen nicht einmal die Lizenzbestimmungen, die wir bei der Installation eines simplen Web-Browsers akzeptieren sollen. Es ist zur Gewohnheit geworden, einfach blind zu klicken, Hauptsache es geht irgendwie weiter. Diese Technik machen sich auch die Banners zunutze, denn Banners funktionieren ja nicht deshalb, dass sie uns überzeugen dass die aktuell angezeigte Website schlechter sei als diejenige hinter dem Banner, sondern weil sie uns das Gefühl geben, uns endlich weiterzubewegen.

Das E-Jahrtausend


Das "E" wird zum Zauberbuchstaben der neuen Ära. Email hat nichts mehr mit Keramik zu tun, sondern mit dem Briefversand ohne klebrige Zunge, E-Commerce mit dem Verkauf ohne Schlangestehen, und auch die E-manzipation, die Frauen mögen den Kalauer verzeihen, kommt hier endlich auf den Geschmack und hält Einzug in die ehemals männlich besetzten Bastionen der Technik- und Informatikfreaks.


Europa schaut neidisch auf die USA. Auch Bill Clinton, seit kurzem auch weltmännischer Wanderer auf Schweizer Böden, weiss offensichtlich, wie man die Medien nutzt und steuert. So predigt er aus seinem Oval Office die totale Vernetzung der USA und den Intenet-Zugang für jeden einzelnen Bürger: Uncle Sam wants you to surf.


Mit der Jahrtausendwende bricht also, und man kann es fast nicht mehr hören, ein neues Zeitalter an. Höchste Zeit aber, einmal nachzufragen -welches- Zeitalter denn eigentlich ausklingt? Der Zufall der Geschichte will es, dass vor 600 Jahren Johannes Gutenberg im deutschen Mainz das Licht der Welt erblickte. Und mit ihm, das heisst fünfzig Jahre später, eine grossartige Entdeckung: der Buchdruck.


Bahnbrechend an Gutenbergs Erfindung war nicht etwa die Drucktechnik selber. Bereits mehrere
hundert Jahre vor Gutenberg wurden Buchstaben oder Ornamente in Holzplatten geritzt und damit
Stoffe oder Pergamente bedruckt. Der Genius von Gutenberg bestand vielmehr darin, dass er die
Wörter in einzelne Lettern aufteilte, diese in Blei goss und so mehrfach verwendbar machte. Eine bestechend einfache Idee!


Trotzdem mussten einige Jahrhunderte ins Land streichen, bis gedruckte Texte zur Massenware
wurden. Noch bis ins 17. Jahrhundert konnten sich nur die Superreichen Bücher leisten. Diese kosteten auf heutige Verhältnisse umgerechnet gut und gerne ein paar tausend Franken. Erst im Laufe der Industrialisierung im 18. und im 19. Jahrhundert wurden Druckerzeugnisse in Form von Flugblättern und Zeitungen auch zum allgemeinen Volksgut.


Genauso wie der Buchdruck die Basis für die westliche Zivilisation schuf, wird auch das Internet eine neue Gesellschaftsform einläuten, da sind sich die Cyberpropheten einig.

Wer Druck macht, gewinnt.


Auf dem Web scheint alles Schall und Rauch, aber Sie wissen es selber: Wenn etwas wirklich Wichtiges auf dem Netz gefunden wird (von der aktuellen Händlerliste bis zum Stellenangebot), dann wird es nicht mehr bis an alle Browserkanten durchsurft, sondern erstmal ausgedruckt.
Der Buchstabenwert steigt anscheinend mit dem Ausdrucken, denn auf dem Netz verflüchtigt sich ja alles so schnell in die rein virtuelle Substanz, die vielleicht morgen schon nicht mehr da ist. Untersuchungen ergaben, dass man auf einer Homepage schon auf der dritten Seite nicht mehr weiss, wo man eigentlich herkommt, und die Angaben sind nicht wirklich fassbar, bis man sie eben druckt.


Hier greift ein neues Medium ein, nämlich das bewährte alte Printmedium. Ja, eine richtige alte Zeitung nach Gutenbergs Vorbild. Nicht in HTML geschrieben sondern auf echtem Papier, nicht browserabhängig, ganz und gar ohne Plug-Ins, und sogar beidhändig bedienbar. Der Stromverbrauch ist niedrig und mit einer Response-Zeit von weniger als einer Sekunde (je nach Zeit die Sie zum Umblättern benötigen) halten sie damit gleich eine Vielzahl von Homepage-Informationen in den Händen. Also Online-Produkte in "Festform", sozusagen.


(An dieser Stelle hatte ich für die Zeitung die Überleitung zur Verkaufsargumentation WA / iEX ...
Diese braucht es hier nicht, also geht es gleich mit dem Schluss des Artikels weiter. GL)



Vollmond voraus.


Merken Sie's? Die Schweiz ist ganz von alleine zu einem Teil des globalen Dorfes geworden, obwohl sich die Classe Politique standhaft gegen die EU wehrt. Und manchmal fragt man sich still und leise, ob das ganze Internet-Menetekel wirklich nötig ist, und wohin es uns noch tragen wird, hinein in die Stuben oder hinaus in die Welt der grossen Versprechungen. Das sind die Stunden vor der Nacht, wenn wieder gesurft wird an den heimatlichen Gestaden der Limmat, des Rheins, und der Aare.


Derweil liegen die Anbieter auf der Lauer. Aber wer von morgens bis abends rund um die Welt nach Kunden fischt, sollte auch das Netz in Ordnung halten. Zuviele Knoten und Löcher lassen viele Kunden einfach durch die Maschen schlüpfen. Die grossen Anbieter schwimmen stromaufwärts, die Internet Start-Ups werden mit Umsatz gemästet und aufgeblasen bis das Gummiboot mit der Aufschrift "Shareholder Value" platzt.


Der Umgang mit der Informationsflut auf unserer kleinen Insel wird unsere Medien, den Handel und die Politik prägen, und soziologisch wie wirtschaftlich schwer abschätzbare Effekte hervorrufen. Es genügt nicht mehr, aufs Geratewohl hin alles anzubieten, am Handy unentwegt zu "kommunizieren" oder mit dem Internet die innere Langeweile zu betrügen. Es muss wieder nachgedacht und gehandelt werden, und mit "handeln" meinen wir hier ausnahmsweise nicht "Online-Trading". Sondern zu wissen, was für Benutzer und Wirtschaft sinnvoll ist und dann die Segel danach zu richten auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft, these are the days.


Und wenn schliesslich mehr oder minder berühmte Leute im Fernsehen freudestrahlend verkünden, sie seien "drin", dann heisst das noch nicht, dass sie auch drauskommen. Nach wenigen Metern sind sie bereits Strandgut. Es braucht neue Wege und Denkweisen, um mit dieser Flut fertigzuwerden. Seien dies bessere Suchmaschinen, bessere Interfaces oder bessere Anbieter. Erst dann wird das Internet zu einem Massenmedium, das nicht nur aus Masse besteht sondern vor allem ein brauchbares Medium ist.


Bleiben Sie erstmal drin. Und atmen Sie ruhig durch, wenn die Flut kommt.




"Wenn die Flut kommt" ist erschienen in der Zeitung "Webanzeiger", monatliches Periodikum für die Schweizer Wirtschaft (Auflage 160'000) anlässlich der Internet Expo 2000, Verlag Webanzeiger AG. Konzept/Recherche und 3D-Illustration von Greg Lemmenmeier (www.greg.ch)




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